Die Verantwortung von LehrerInnen – und SchülerInnen
Es war nur eine Frage der Zeit, bis erste #MeToo-Bekenntnisse aus der Yoga-Welt zu hören sein würden. Nach den Grenzüberschreitungen in Kirchen, beim Leistungssport, in der Filmindustrie und in Psychotherapie-Praxen, packt nun die Yoga-Szene aus – ZEIT Online berichtet heute davon. Als Schüler in der Ausbildung zum Yogalehrer haben Michaela und Sven Sailer selbst ernüchternde Erfahrungen gemacht und ihre Konsequenzen daraus gezogen.
Bist du ausgerichtet? Wenn ja, was sind deine Absichten?
Michaela Sailer
Durchreise ich die große, weite Yoga-Welt auf der Suche nach Selbsterkenntnis oder nach Mr. Super Right? Bin ich nicht ausgerichtet, dann erklimme ich möglicherweise im kurzen Top und im knappen Höschen den ekstatischen Tantra-Gipfel meiner Weiblichkeit im Bett meines Yogalehrers – der mir auch immer wieder erklärt hat, ich solle weich werden und meine Weiblichkeit finden. Schnell werde ich erkennen, dass ich nur eine von vielen auf seiner Matratze war. Auch wenn nicht mein Herz, wohl aber mein Ego gebrochen wurde, fühle ich mich missbraucht. Oder habe ich mich etwa hingebungsvoll missbrauchen lassen?
Missbrauch und Ausbeutung von Mensch und Natur werden mehr und mehr auch in der mächtigen Yoga-Industrie zum lukrativen Geschäftsmodell. In welchem Sweat Shop wurde denn meine stylishe Yoga-Klamotte zusammengenäht? Wie umweltfreundlich ist die Herstellung meiner Yogamatte? Werden mir in der mehrere Tausend Euro teuren Yoga-Ausbildung überhaupt die angepriesenen Kompetenzen vermittelt? Kann ich in nur vier Wochen Yogalehrer werden? Und was treiben meine gut gesponsorten Vorbilder da eigentlich auf Youtube und Instagram?
Was sind meine Absichten? Soll mich die Yogalehrer-Ausbildung nur möglichst schnell vom tristen Bürojob erlösen? Suche ich im Kreis meiner Mitschüler einfach nur die Anerkennung, die ich mir selbst nicht geben kann? Oder soll mich der Sex mit meinem halb-erleuchteten oder gar unter-belichteten Yogalehrer auf wundersame Weise heilen?
Anstatt mich auszurichten, mit meiner klaren Meinung auch mal als uncool zu gelten und damit gegen den Strom einer Gruppe zu schwimmen – werfe ich mich selbst herz- und hirnlos in die Arme von manipulativen Möchtegernen. So werde ich vor allem zum Opfer meiner eigenen Dummheit (der Yoga spricht hier etwas sanfter von »avidya« – Unwissenheit).
Wo »Yoga draufsteht, ist selten »Yoga« drin.
Sven Sailer
Der Yoga ist eine der sechs philosophischen Schulen (saddarshana) Indiens und basiert auf dem Yoga-Sutra des Patanjali. Vers 29 im zweiten Kapitel zählt die acht (astau) Glieder (anga) der Yoga-Philosophie auf (Ashtanga Yoga). Die ersten beiden Glieder beinhalten je fünf Gebote für den Umgang mit meiner Umwelt (yama) und je fünf Gebote für den Umgang mit mir selbst (niyama).
Die Ereignisse in der Agama-Schule in Koh Pha Ngan, Thailand, haben mit diesem Yoga rein gar nichts zu tun. Sie präsentieren nur einmal mehr besonders affektive Menschen, die sich hemmungslos-heimlich ihrer Geltungssucht, Gier, Geilheit und Gewalt hingeben. Diese Verfehlungen sind – wie auch im Bereich Kirche und Psychotherapie – besonders enttäuschend, weil sie sich hinterhältig unter dem Deckmäntelchen von Heilung und Spiritualität abspielen.
Fragwürdig sind im Beispiel der Agama-Schule die Absichten, das Wertegerüst und die (spirituelle) Reife aller: sowohl der LehrerInnen, als auch der SchülerInnen. Die Yoga-Philosophie hat vor über 2000 Jahren eine klare Antwort auf die Frage nach einem freien und selbst-bewussten Leben gegeben. Wären die Menschen von dieser Philosophie beseelt und inspiriert, gäbe es gar keinen Raum für derartige Verfehlungen.
Wo »Yoga« draufsteht, ist eben selten »Yoga« drin. Das gilt nicht nur für die kommerzielle Ausschlachtung im Westen, sondern auch für das vermeintlich traditionelle und authentische Angebot in Asien.
Für die Erfahrung von »Yoga« (Einheit) muss man weit reisen – aber nicht ins verheissungsvolle Thailand, nach Indien oder Bali. Es ist die Reise ins eigene Innere, die man antreten darf. Die Ausrichtung (im Geist als das bhava »aishvarya« kultiviert, in der körperlichen Yogapraxis als Alignment umgesetzt) ist dabei ein wesentliches Element. Ist die geistige und körperliche Ausrichtung eines Menschen klar und entschieden – dann sind es auch seine Absichten.
In unserem Workshop »Alignment im Yoga« am 29. September 2018 im Samsara Nürnberg werden wir über die Ausrichtung von Geist und Körper sprechen. Es geht darum, sich auf den Weg, den Prozess einzulassen. Nicht darum, möglichst schnell und komfortabel ans Ziel zu kommen.
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